Im Jahr 2020 fand der erste #fl_tag statt. Das Format wurde in den Jahren 2021 und 2023 fortgesetzt. Und auch im Jahr 2024 wird es wieder einen geben.
Und es gibt einen Ausbildungsalltag, der davor, danach und dazwischen stattfindet und begleitend möchten wir unter dem Titel Ausbildung im Diskurs Räume für Austausch und Vernetzung schaffen.
Dieser Blog ist unsere zentrale Anlaufstelle. Er informiert und bietet Übersicht über alles, was auf dem Weg ist und vor Ort rund um die Ausbildung in unserem "Veedel" im Kölner Bezirk passiert.

Potentialentwicklung

#fl_tag23

ein Blogbeitrag von Frank Giersiefen

Wer kennt sie nicht, diese negativen und belastenden Wirkungen, die insbesondere durch ökologische, ökonomische und medizinische Ereignisse unserer Zeit ausgelöst werden. Jede dieser Szenarien – und davon gibt es subjektiv gesehen in zeitlich kürzeren Abfolgen zunehmend mehr – haben das Potential, massive, bis dahin nicht vorstellbare gesellschaftliche, soziale, politische, wirtschaftliche und technische Brüche auszulösen, deren Folgen dann für jeden einzelnen Menschen und für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen verschieden stark als Krise erlebt werden.

Um zu beschreiben, welchen Herausforderungen wir uns im täglichen Leben stellen müssen, wurde das Akronym „VUCA“ lange Zeit verwendet. Nun scheint es überholt und wird durch ein anderes Akronym und ein weiterentwickeltes Framework abgelöst.

Urheber dieses neuen Erklärungsansatzes ist der US-amerikanische Zukunftsforscher Jamais Cascio. In seiner Veröffentlichung „Facing the Age of Chaos“ verwendet er das Akronym „BANI“ zum ersten Mal.

„Brittle, brüchig. Brechen tun Dinge, die nicht elastisch sind. Spröde und abgenutzte Gegenstände. Systeme, die nach aussen stark wirken, im Inneren aber schwach und morsch sind. Brittle steht für vermeintliche Stärke. Eine, die es eigentlich nicht mehr gibt oder die schon lange der Vergangenheit angehört.

Anxious, ängstlich. Angst entsteht aus dem Gefühl, mit keiner Entscheidung richtig zu liegen oder mehr noch: Mit jedem Beschluss ein Desaster auslösen zu können. Diese Angst kann Entscheidende in die Passivität oder die Verzweiflung treiben. Die schnelllebige und von Algorithmen getriebene Medienwelt unterstützt diese Negativspirale zusätzlich.

Non-linear, nicht linear. Nonlinerarität bedeutet, dass Kausalitäten nicht mehr gegeben sind. Aktion und Reaktion stimmen nicht überein oder bedingen sich gar nicht. Kleine Aktionen können massive Reaktionen auslösen. Mit positiven oder negativen Ausprägungen. Aber immer mit schlecht vorhersehbarem Ausgang.

Incomprehensible, unfassbar. In einer unbegreiflichen, unfassbaren Welt sind Ereignisse oder Entscheidungen nicht nachvollziehbar. Entweder liegen die Ursachen dafür zu weit zurück oder sie sind zu komplex, um korrekt eingereiht zu werden. Selbst mehr Informationen garantieren kein besseres Verständnis. In der Informationsflut ist das Rauschen vom Signal kaum mehr zu unterscheiden.“
(https://fh-hwz.ch/news/was-bedeutet-bani – letzter Aufruf 22.04.2023)

Was hat diese Zustandsbeschreibung der Gegenwart mit dem Bereich der „Bildung“ und in der Folge auch mit der Institution „Schule“ zu tun?

Es gibt sicherlich keinen Widerspruch zu der Einschätzung, dass die dargestellten vier Erklärungsansätze auf den Bildungsbereich und somit auch die Institution Schule angewendet werden können. Der Begriff „Bildungskrise“ hat in der Politik längst Einzug gefunden und die sich anschließenden Forderungen nach Strukturreformen werden und wurden fast reflexartig und wiederkehrend ausgerufen. Hierbei bleibt zunächst ungeklärt, ob die politischen Antworten tatsächlich und langfristig dabei helfen werden, die ausgemachte „Bildungskrise“ zu überwinden.

Offensichtlich existieren über das Verständnis von dem was „Krise“ ist, noch tiefe Gräben zwischen den politischen Vertretungen und engagierten Expert:innen, die sich um die Zukunft des Planeten Erde und den Fortbestand unserer Gesellschaft sorgen. Für diese Expert:innen geht es nicht alleine um strukturelle Lösungen zur Überwindung der Krise  – es geht vielmehr um eine andere tiefergehendende Dimension von erforderlichen Veränderungen. „Die Menschheit steht vor riesigen Herausforderungen. Krisen überall machen deutlich, dass unser derzeitiges Wachtumsparadigma vom Höher, Schneller, Weiter dem auch die Bildung folgt, nicht zukunftsfähig ist. (…) Eine gesellschaftliche Transformation, ein grundlegender Wandel in Einstellungen und Haltungen ist dringliche Notwendigkeit. Es geht um einen Kulturwandel vom EGO in die Kraft des WIR. (…) Bildung ist dafür zentral. Hier ist ein Paradigmenwechsel erforderlich (…).“ (Margret Rasfeld, 2021, S. 28)

Seit einiger Zeit ist das Buch „Future Skills. 30 zukunftsentscheidende Kompetenzen und wie wir sie lernen können.“ – in besonderer Weise auch der Aufsatz von Kathrin Höckel „Teachers for Life“ – ein liebgewonnener Begleiter im Alltag meiner Berufspraxis.

Dabei ist die Lektüre der Beiträge für mich eine geeignete Grundlage, um in Selbstreflexion und in unterschiedlichen Gesprächen, Erörterungen und Diskussionen die Gedanken der Autor:innen zu vertiefen und somit mit meinem persönlichen Lernen zu verbinden.
Die Beiträge von insgesamt 69 Autor:innen aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen helfen mir, optimistisch zu bleiben und mir eine Idee davon zu erschaffen, wie Bildung zukünftig gestaltet werden und aussehen könnte.

Kathrin Höckel fokussiert in ihrem Beitrag „Teachers for Life – Wie werden wir Lehrende für Future Skills“ die Persönlichkeitsentwicklung und Bewusstwerdung von Lehrer:innen als Grundvoraussetzung für eine zukunftsfähige und veränderte (schulische) Bildung. Sie schreibt: „Für Teachers for Life, die ihre Fensterscheibe gut von innen geputzt haben, wird die eigene Persönlichkeit zum Werkzeug ihrer Arbeit.“ (Kathrin Höckel, 2021, S.363) Durch diese Aussage erhält die gegenwärtige Ausrichtung und Gestaltung der Ausbildungspraxis der Lehrer:innenbildung in NRW eine besondere Bekräftigung, denn spätestens seit der Veröffentlichung des Kerncurriculum 2014 haben sich in der 1. und 2.  Phase der Lehrer_innenbildung die Aufgaben innerhalb der Begleitung, Beratung und Unterstützung von Lehramtsanwärter:innen genau in die von Kathrin Höckel angesprochene Richtung geöffnet. An dieser Stelle sei z.B. auf das Portfolio, die POB-C, den Fokus „Reflexion“ im KC, eine personalisierte Ausbildungsdidaktik verwiesen.

Sind diese Ansätze und Instrumente unserer Lehrer:innenbildung auch dafür geeignet, um zukünftige Lehrer:innen für ein anderes Verständnis von „Bildung“ zu sensibilisieren – ein Verständnis, bei dem es nicht (nur) um Wissen und Fähigkeiten, sondern auch um Werte und Haltungen gehen muss?

Diese Bildung im Verständnis einer „Potentialentwicklung“ (Höckel, 2021) benötigen nächste Generationen für ihre individuelle Resilienz und um auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gut vorbereitet zu sein, damit die Zukunft aktiv, nachhaltig und verantwortlich (mit)gestaltet werden kann.

Literatur:

Höckel, K. (2021). Teachers for Life – Wie werden wir Lehrende für Future Skills. In P. Spiegel, A. Pechstein, A. Ternés von Hattburg, A. Grüneberg (Hrsg.), Future Skills. 30 zukunftsweisende Kompetenzen und wie wir sie lernen können (1. Aufl., S. 60 – 65). Franz Vahlen Verlag.

Rasfeld, M. (2021). Teachers for Life – Ein neues Paradigma des Lernens. In P. Spiegel, A. Pechstein, A. Ternés von Hattburg, A. Grüneberg (Hrsg.), Future Skills. 30 zukunftsweisende Kompetenzen und wie wir sie lernen können (1. Aufl., S. 28 – 35). Franz Vahlen Verlag.

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